Eine Attraktion für Eisenbahnfreaks, Lesefaule und Familien – das Bahnmuseum Albula in Bergün führt durch 130 Jahre Bahngeschichte Graubündens, die Vergangenheit der Rhätischen Bahn.
Der rote Bündner Zug verlangsamt sein Tempo und kommt Sekunden später nach einem dezenten Quietschen im Bahnhof Bergün zum Stehen. Die Rhätische Bahn entlässt ihre Passagiere pünktlich um 9.14 Uhr in die Albulataler Berglandschaft. Die Gegend ist mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt – es weht ein eisiger und kalter Wind.
Das Ziel vieler Gäste befindet sich direkt an der Albulalinie der Rhätischen Bahn. Bergün ist mit seinen 500 Seelen zwar ein kleines Dörfchen, zieht aber trotzdem Touristen an. Das Ortsbild mit der markanten reformierten Kirche, den vielen urchigen Steinhäusern und der nahen Lage zum Wald vermittelt noch heute pure Idylle, verstärkt durch die Bündner Bergpracht rundherum. Seit 2012 lockt Bergün mit einem weiteren Besuchermagnet: dem Bahnmuseum Albula.
Im Museum passiert ein älteres Pärchen die Eintrittsschranke, gefolgt von einer vierköpfigen Familie. Eine Gruppe Männer in ihren Zwanzigern geniesst im hauseigenen Restaurant ihr erstes Bier; andere essen bereits zu Mittag; ein Vater und seine Tochter schlürfen eine Schoggi Mélange.
Der Innenausbau des Bahnmuseums besteht grossflächig aus Holz. Trotz den kalten Aussentemperaturen strahlt das Gebäude eine Wärme aus und verbreitet eine gemütliche Stimmung. Die Eintrittskarte ist aus Karton, ein dünnes kleines Plättchen mit dem Abbild eines Bahnwärters – so haben die ursprünglichen Bahntickets bei Inbetriebnahme der Rhätischen Bahn ausgesehen.
Stefan Barandun war früher Wanderleiter in der Region; heute bietet er Führungen im Museum an. Seit der Eröffnung des Museums vermittelt der Albulataler mit Vollbart sein Wissen über die 2100 Quadratmeter grosse Ausstellung: «Es macht mir grossen Spass, interessierten Personen die grandiosen Bauwerke der Rhätischen Bahn näherzubringen.» Zu Beginn dämpft Stefan Barandun allerdings die Erwartungen:
Immerhin: Alle historischen und modernen Wagen der Rhätischen Bahn sind en miniature ausgestellt – das sind an die 70 Stück. Darunter ist auch der aktuelle Zug, der noch heute Passagiere nach Bergün bringt.
Die Modelle fangen aber nicht einfach in der Vitrine Staub; im gesamten nächsten Raum fahren sie auf einer Modelleisenbahn. Das Modell, das Ausschnitte der Rhätischen Bahn zeigt, ist mit vielen Details ausgeschmückt. Viele der Strecken sind mit Gras bewachsen, Ampeln und Weichen verhindern Kollisionen, an den Bahnhöfen arbeiten Miniature-Menschen; sie sitzen in Bahnwärterhäuschen oder transportieren Güter in Schubkarren.
Auf der zweiten Etage empfängt die Besucher ein eisig klingender Wind aus dem Lautsprecher. Es ist eine Simulation für die gefährliche Alpenüberquerung vor der Erfindung der Dampflokomotive 1829. Damals wählten viele Handelsleute den Weg über die Bündner Pässe, was der Bevölkerung in den Tälern Arbeit gab für deren Verpflegung und Unterkunft. Mit der Eröffnung des Gotthardtunnels 1882 änderte sich das schlagartig – das «Gotthardtrauma» der Region folgte. Eine schnelle Arbeitslosigkeit verursachte eine Auswanderungswelle. Die Bündner Täler leerten sich.
Einige Jahre später, 1889, wurde die Bahnlinie von Landquart nach Davos eröffnet – der Startschuss der Rhätischen Bahn. Kurz darauf wurde der Bau der Albulalinie beschlossen. Das Tal bot nun wieder Arbeit: Jetzt waren Tunnel- und Brückenbauer gefragt. Die Planung des Projekts war allerdings alles andere als einfach; so wurden für die optimale Linienführung der Albulabahn ein Dutzend Varianten besprochen. Stefan Barandun erklärt, wo beim Bau der Bahn zwischen Bergün mit dem sieben Kilometer entfernten und 416 Meter höheren Preda die Schwierigkeiten lagen:
Um diese Verdoppelung der Strecke zu erreichen, sei der Bau von zwei Kehrtunnels um 180 Grad und drei Spiraltunnels um 360 Grad notwendig gewesen.
Anfang 20. Jahrhundert kam dann das Auto auf. Die Bündner Regierung beschloss kurzum, dieses zu verbieten; die Bahn genoss somit lange Zeit Monopol-Stellung in Graubünden. Und wenn ein Bündner doch ein Auto wollte, musste er gewisse Umstände in Kauf nehmen. Stefan Barandun erzählt:
Viele Bündner schienen keine Fans vom Personenwagen gewesen zu sein – fast ein Vierteljahrhundert dauerte es, bis das Volk 1925 in der zehnten Abstimmung doch noch «Ja» zum Auto sagte.
Weitere Abteilungen des Museums sind der Berninabahn, der Elektrifizierung, den Werkstätten, sowie der Mechanik, die hinter einer Eisenbahn stehen, gewidmet. Langweilig wird es während der gesamten Ausstellung nicht – aber auch nicht überfordernd. Zu ausgewählten Themen kann man sich mithilfe Infotafeln vertiefen; alles ist kompakt und kurz gefasst. Das Museum bietet auch interaktive Elemente, beispielsweise das Austüfteln der effizientesten Geschwindigkeit einer Lokomotive oder das Berechnen der Reisedauer mit dem Zug zwischen diversen europäischen Destinationen. Für die kleinen Besucher gibt es eine Kindertour mit mehreren Stationen durch das Museum verteilt.
Die Führung dauert normalerweise eineinhalb Stunden – heute nimmt sich Stefan Barandun vier Stunden Zeit. Seine Frau, die beim Ausgang wartet, raunt: «Doh hesch sicher Freud gha, wenn’d amol a biz usfüahrlicher verzella hesch törffa!». Stefan Barandun strahlt.
Draussen strahlt die Sonne leider nicht mehr. Schleierwolken überziehen den Himmel. Der eisige Wind aber ist geblieben. Zum Glück fährt nach ein paar Minuten Wartezeit der rote Bündner Zug wieder in den Bahnhof ein und rollt kurze Zeit später davon – mit einem dezenten Quietschen.