Zu Besuch in der Val Bregaglia.
Das Tal der Kastanien-Selven


Nicht Italien ist im Besitz des grössten Edelkastanienwaldes Europas, sondern das Bündner Südtal Val Bregaglia in der Schweiz. Die Selven (Wälder) mit den dichten Marronibäumen gleichen eher einer Parklandschaft als einem Wald. Die Einheimischen pflegen sie und ernten ihre Früchte. Touristen sind willkommen, aber es heisst auch hier – wie in den Weinbergen: «Mundraub» unerwünscht! Für die Mithilfe beim «Kastanienklopfen» – wenn die stachlige Hülle von der Frucht gelöst wird – ist jede Hand willkommen.

Solche Tragkörbe aus Weidengeflecht sind etwas aus der Mode gekommen. Sie heissen im Val Bregaglia «Gerli». Seit dem Aufkommen von Auto und Traktor sind sie fast ganz verschwunden. Einst dienten sie zum Transport von Heu, Äpfeln, Nüssen und manchmal auch eines Ferkels. In den Kastanienhainen füllt man sie aber heute noch mit Marroni und bringt diese zu den Dörrhäuschen – den «Cascine» – wo die Früchte ein paar Wochen trocknen. Im Oktober trifft sich dann Jung und Alt zum Kastanienfest.

Herbst. Die Blätter fallen, und die Kastanien tun es auch. Nun gibt es viel zu tun in der Selva (dem Wald) von Castasegna, dem untersten Dorf im Val Bregaglia. Hier liegt der «Brentan», der grösste Kastanienwald Europas. Es wundert nicht, dass die Kastanie sowohl im Ortsnamen als auch im Wappen des Dorfes vertreten ist. Die Selva wird gleich dreifach bewirtschaftet: Im Frühling wird das Gras gemäht, im Sommer weidet dort das Vieh, und im Herbst ist Erntezeit.

Da liegen sie in der «Gerla», die Kastanien, glänzend und appetitlich. Sie lassen schon von verführerischen Vermicelles träumen. Dabei waren Marroni einst das Brot der armen Leute. Das blieb so bis ins 18. Jahrhundert. Dann wurde durch den Siegeszug der Kartoffel und des Mais die Kastanie verdrängt. Erst in den letzten Jahren besann man sich im Val Bregaglia des wertvollen Kulturguts und begann es wieder zu pflegen.