Von Bett zu Bett durch den Schnee.

Winterweitwandern

Thalia Wünsche blickt auf die Winterlandschaft
Über gefrorene Seen, durch Wälder und zu Gletschern – keine andere Region bietet ein so grosses Winterwandernetz wie das Oberengadin. Geschickt kombiniert, lassen sich die Wege zu einer viertägigen Tour von Maloja bis an den Morteratsch-Gletscher verbinden. Unsere Autorin Thalia Wünsche hat sie getestet.

Tag 1: Vom 21. ins 19. Jahrhundert

Von oben müssen die vielen Winterwanderer, die den gefrorenen Silsersee überqueren, wie eine Ameisenstrasse wirken, denke ich mir beim Anblick der Dohlen, die über uns kreisen. Wir – meine Schwester und ich – sind zwei dieser Ameisen. Ins Bild der flanierenden Masse passen wir aber nicht: Unsere Rucksäcke sind zu gross, unsere Schritte zu zügig. Beides hat guten Grund: Wir tragen das Gepäck für vier Tage auf unseren Rücken und vor uns liegen 70 Kilometer. 14 sind es bis zum heutigen Tagesziel, dem Hotel Fex.

Je näher wir diesem kommen, desto leerer werden die Wege. Den Aufstieg von Sils in die Val Fex nehmen heute nur wenige auf sich. Ihr Pech und unser Glück. Sie wissen nicht, was sie verpassen, und wir geniessen die Ruhe. Die einzigen Geräusche, die wir hören sind: Das Knirschen des Schnees unter unseren Schuhen, das Kratzen der Ski auf der Loipe, wenn ein Langläufer vorbeizieht, und das Gebimmel der Pferdekutschen, dem einzigen Verkehrsmittel, das im Seitental zugelassen ist.

Val Fex

Nach einer weiteren Stunde stehen wir vor unserer Unterkunft. Beim Betreten tauschen wir Kälte gegen Wärme, Weite gegen Gemütlichkeit und das 21. gegen das 19. Jahrhundert. Das Hotel Fex wurde in den 1850er Jahren in St. Moritz erbaut, 50 Jahre später in seine Einzelteile zerlegt und an seinen jetzigen Standort transportiert.

Nicht nur das Haus, sondern auch das Mobiliar und die Gepflogenheiten – Punkt 16.00 Uhr wird Tee und Gebäck serviert – stammen aus dieser Zeit und so sind es nur wir, die mit unserer modernen Outdoor-Ausrüstung wie aus der Zeit gefallen wirken.

Thalia Wünsche blickt aus dem Fenster im Hotel Fex
  • Strecke: Maloja – Isola – Sils – Hotel Fex (12,5 km)
  • Mittagspause: Restaurant Lagrev in Isola
  • Abkürzung: Anstatt in Maloja kann man in Sils oder, wenn der See gefroren ist, in Plaun da Lej starten. So spart man 5,7 respektive 2,3 km Fussweg.
  • Höhepunkte: Das Maiensäss-Dörfchen Isola und der erste Blick in die Val Fex bei La Motta
  • Tipp: Vorbei am Hotel Fex bis ans Ende des Winterwanderwegs auf die Alp Muot Selvas wandern (5,3 km hin und zurück)
  • Unterkunft: Swiss Historic Hotel Fex 

Tag 2: Über die Seen auf den Berg

Widerwillig und mit dem Versprechen zurückzukehren, verlassen wir am nächsten Morgen das Hotel und das Seitental. Der Himmel ist tiefblau, die Sonne scheint kräftig und die Temperaturen liegen um die null Grad. Ein perfekter Tag zum Winterwandern. Der Schnee ist alt und hart und nach Sils geht es abwärts, sodass wir leicht und rasch vorankommen. Den Silvaplanersee überqueren wir noch vor dem Mittag.

Hier könnten wir in den Bus steigen und mit der Fahrt nach St. Moritz einige Kilometer sparen. Unser Ehrgeiz – oder ist es unsere Sturheit? – lässt das aber nicht zu. Wir wollen alle Unterkünfte zu Fuss erreichen. So wie im Sommer, wenn man mit seinem Rucksack von Hütte zu Hütte wandert.

Thalia Wünsche blickt auf die Winterlandschaft

Zwei Stunden und drei Seen später haben wir in Punt Muragl keine Wahl mehr. Auf Muottas Muragl führt im Winter nur die Standseilbahn. Zugeben würden wir es nicht, insgeheim sind wir aber froh, wird uns der Aufstieg auf den Berg geschenkt. Denn auch wenn es heute fast nur geradeaus ging, fühlen sich die Beine nach über 20 Kilometern auf Schnee schwer an.

Das Hotel auf Muottas Muragl ist nicht viel jünger als dasjenige in der Val Fex. Das Alter sieht man ihm aber nicht an. 2010 wurde die Unterkunft umfassend renoviert und modernisiert. Das Resultat: Ein schnörkelloses, elegantes Berghaus mit Zimmern mit viel Arvenholz – dieser Duft! –, das perfekt zum Ausflugsberg mit einer der schönsten Aussichten Graubündens passt.

Dekoration im eleganten Berghaus
Garderobe im Schlafzimmer
  • Strecke: Hotel Fex – Sils – Silvaplana – St. Moritz – Lej da Staz – Punt Muragl (20,1 km)
  • Mittagspause: La Tenda Sur Lej bei Silvaplana
  • Abkürzung: Nimmt man von Silvaplana nach St. Moritz den Bus, spart man rund 4 km und eine Stunde Fussweg.
  • Höhepunkte: Kaffeepause am Lej da Staz und die Aussicht auf die Engadiner Seenlandschaft von Muottas Muragl
  • Unterkunft: Romantik Hotel Muottas Muragl
Sonnenuntergang vom Muottas Muragl Sonnenuntergang vom Muottas Muragl
Muottas Muragl

Tag 3: Mutige Meisen und eine Sackgasse

Wieder heisst es Abschiednehmen von einem Ort, an dem wir lieber länger geblieben wären. So schwer wie auf dieser Weitwanderung fiel mir das Weiterziehen noch nie. Vermutlich liegt es daran, dass wir nicht in einfachen Berghütten, sondern in speziellen Berghotels übernachten. Die Unterkünfte sind mehr als reine Notwendigkeit, sie sind Teil des Erlebnisses.

Zurück im Tal – den Berg hinunter ging’s mit dem Schlitten – warten wieder die Winterwanderwege auf uns. Auf direktem Weg wären es zum heutigen Tagesziel, dem Gletscher-Hotel Morteratsch, nur zwei Stunden. Das ist uns zu wenig und so entscheiden wir uns für einen Abstecher in die Val Roseg.

Ab dem Bahnhof Pontresina führt der Winterwanderweg dem gleichnamigen Fluss folgend durch Nadelwälder ins Seitental. Wir kommen nur langsam – besser gesagt fast gar nicht –voran. Schuld sind die Meisen. Um Pontresina sind die kleinen Vögel so unerschrocken, dass sie einem wortwörtlich aus der Hand fressen. Vorausgesetzt es liegen ein Paar Körner darauf.

Meise frisst Thalia Wünsche aus der Hand

Trotz der tierischen Ablenkung erreichen wir um die Mittagszeit das Ende der Val Roseg. Hier öffnet sich das Tal zu einer grossen von Bergen und dem Roseg-Gletscher umschlossenen Ebene. Im Sommer könnte man über die rechte Flanke auf den Corvatsch aufsteigen, im Winter ist es eine Sackgasse. Aber eine sehr lohnende.

Von Bergen und dem Roseg-Gletscher umschlossene Ebene

Die letzten Kilometer der heutigen Tagesetappe kommen uns ungleich länger vor. Das Berninamassiv, das vor uns liegt, ist von Wolken verdeckt und so kann die Landschaft zwischen Pontresina und Morteratsch nicht mit derjenigen in der Val Roseg mithalten. Was uns antreibt, ist die Vorfreude auf eine heisse Dusche, ein gutes Abendessen und ein weiches Bett. Alle drei Wünsche erfüllen sich im Gletscher-Hotel Morteratsch. Das dreigängige Halbpensionsmenü ist nicht nur gut, sondern ausgezeichnet.

Fensterblick aus dem Gletscher-Hotel Morteratsch Fensterblick aus dem Gletscher-Hotel Morteratsch
  • Strecke: Punt Muragl – Pontresina – Val Roseg – Pontresina – Gletscher-Hotel Morteratsch (21,7 km)
  • Mittagspause: Hotel Restaurant Roseg Gletscher
  • Abkürzung: Nimmt man von der Val Roseg nach Pontresina den Pferde-Omnibus oder von Pontresina nach Morteratsch den Zug, spart man je rund 7 km und 1,5 Stunden Fussweg.
  • Höhepunkte: Die mutigen Meisen rund um Pontresina und die Aussicht auf den Roseg-Gletscher
  • Tipp: Anstatt mit der Standseilbahn mit dem Schlitten von Muottas Muragl zurück ins Tal sausen. Die Schlittelbahn ist steil, aber spassig.
  • Unterkunft: Gletscher-Hotel Morteratsch 

Tag 4: Ein Gletscher zum Frühstück

Ein letztes Frühstück, ein letztes Mal den Rucksack packen und ein letztes Mal die Wanderschuhe schnüren. Bevor wir heute nach Pontresina und von dort nach Hause zurückkehren, wandern wir zum Morteratsch-Gletscher. Dank der Übernachtung im Gletscher-Hotel Morteratsch starten wir aus der Poleposition und gehören zu den ersten, die auf dem Winterwanderweg unterwegs sind. Überholt werden wir nur von ein paar Langläufern beim Morgensport.

Thalia Wünsche vor dem Morteratsch-Gletscher
  • Strecke: Gletscher-Hotel Morteratsch – Morteratsch-Gletscher – Gletscher-Hotel Morteratsch – Pontresina (12,5 km)
  • Mittags- oder Kaffeepause: Bundí Puntraschigna
  • Höhepunkt: Blick auf den Morteratsch-Gletscher aus nächster Nähe
  • Tipp: Früh aufstehen lohnt sich. So hat man den Winterwanderweg und den Morteratsch-Gletscher für sich allein.

Fazit: Jederzeit wieder!

In der Rhätischen Bahn zwischen Pontresina und Chur lassen wir unsere erste Winterweitwanderung Revue passieren. Weder meine Schwester noch ich haben je eine vergleichbare Tour gemacht und so wussten wir bei unserem Start in Maloja nicht, ob es erstens funktionieren und zweitens Spass machen würde. Die Antwort: Das tut es, beides. Die Winterwanderwege im Tal sind zwar etwas weniger spektakulär als die Sommerwanderwege in den Bergen. Die speziellen Unterkünfte machten das aber wett. Und die grosse Zufriedenheit, mit reiner Muskelkraft unterwegs zu sein, stellt sich im Winter genauso ein wie im Sommer.

Thalia Wünsche

Autorin.

Thalia Wünsche

Thalia ist Wahlbündnerin und bringt seit 2016 für Graubünden Ferien Journalist*innen und Blogger*innen an die schönsten Orte der Region. Wenn sie nicht hinter dem Schreibtisch sitzt, ist sie am liebsten in der Natur unterwegs; entweder mit ihrem Hund oder ihrer Kamera.

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