Schweizerischer Nationalpark.

Unterwegs mit dem Parkwächter

Fadri Bott
Fadri Bott ist seit 30 Jahren Parkwächter im Schweizerischen Nationalpark. Es ist einer der seltensten Jobs der Schweiz. Wie ist es, im schönsten Naturreservat des Landes zu arbeiten? Ein Einblick in eine überraschend vielseitige Tätigkeit mit und für die Natur.

Es ist ein lauer Tag im September, mitten in der Hirschbrunftzeit im Schweizerischen Nationalpark. Von allen Seiten buhlen die männlichen Hirsche um die Gunst der Weibchen. Ein Spektakel, das viele Schaulustige anzieht. Fadri Bott rechnet heute mit vielen Gästen. Der Nationalparkwächter ist gerade in der Val Mingèr unterwegs, einem wilden Tal des im Unter- und Oberengadin sowie in der Val Müstair gelegenen Nationalparks. In den Wäldern schimmern erste Gelbtöne durch, die alpinen Matten erscheinen blasser. Deutliche Vorboten des Winters. Bald kommt der grosse Schnee, dann gönnt sich die Natur im Park einen Winterschlaf und eine Pause von den insgesamt rund 120'000 Gästen, die sich im Sommer und Herbst auf dem 100 Kilometer langen Wanderwegnetz tummeln.

Röhrender Rothirsch
Ich wusste schon im Kindergarten, dass ich im Nationalpark arbeiten will.

Fadri Bott Nationalparkwächter

Ein Bubentraum wird wahr

Normalerweise ist Fadri Bott eher auf der anderen Parkseite anzutreffen, im Ofenpassgebiet, seiner Heimat. Dort, in Valchava, direkt an der Grenze zu Norditalien, wo der heute 51-Jährige geboren und aufgewachsen ist, wurde ihm der Beruf als Parkwächter in die Wiege gelegt. «Ich wusste schon im Kindergarten, dass ich im Nationalpark arbeiten will», erzählt er. Mit 22 Jahren wurde er einer der jüngsten Parkwächter im Schweizerischen Nationalpark, seit 2011 leitet er das achtköpfige Parkwächter-Team. Sein Bubentraum ging in Erfüllung.

Hinter Fadri Bott und seinen Kollegen liegen intensive Sommermonate. Bis zu 13 Stunden am Tag sind die Wächter zu Spitzenzeiten im Park unterwegs. Im Mai beginnt für sie die Saison mit Instandstellungsarbeiten: Weg- und Grenzmarkierungen werden erneuert, Brücken wieder aufgebaut, denn die Schneemassen, insbesondere Lawinen, hinterlassen ihre Spuren. Bis Mitte Juli stellen die Wächter mit Unterstützung von Praktikanten im Ofenpassgebiet rund 150 Fotofallen auf, die sie jeweils vor Wintereinbruch wieder einsammeln. Zu Fuss, versteht sich. Andere Tiere wiederum sind mit GPS-Sendern ausgestattet. So etwa Rothirsche, Gämsen, Steinböcke und Füchse – alle markiert von den Parkwächtern.

Das ist Wächtersache

Aufseher im Schweizerischen Nationalpark gibt es schon seit seiner Gründung im Jahre 1914. Einst waren es Grenzwächter, die für Recht und Ordnung sorgten. Heute sind es meist gelernte Handwerker, welche den Beruf des Nationalparkwächters ausüben. Wer mit Fadri Bott spricht, verabschiedet sich schnell von der verbreiteten und romantischen Vorstellung, dass Nationalparkwächter den ganzen Tag Tiere beobachten würden. Es ist viel mehr als das. Die acht ganzjährig angestellten Parkwächter wachen über Wildbestände und Pflanzen, unterhalten die Nationalparkinfrastruktur und sind Ansprechpersonen für Gäste. Immer wichtiger wird ihre Unterstützung bei der Forschung. Pro Jahr untersuchen und dokumentieren rund 70 wissenschaftliche Forschungsprojekte die natürlichen Prozesse und Veränderungen im Nationalpark.

Fadri Bott

Auge in Auge mit den Tieren

In der idyllischen Val Mingèr sind inzwischen pfeifende Murmeltiere in den röhrenden Gesang der Hirsche miteingestiegen. Ein animalisches Konzert. Auf der gegenüberliegenden Seite auf Sur il Foss, einem Sattel auf 2 317 Höhenmetern, versuchen zahlreiche Hirschstiere inbrünstig die Kühe für sich zu begeistern. Auch nach 30 Jahren als Parkwächter ist die Hirschbrunft für Fadri Bott noch immer ein besonderes Ereignis. Bartgeier, Steinböcke, Gämsen, Wölfe und Bären – er hat sie alle schon gesehen. Doch so richtig warm ums Herz wird es Fadri Bott, wenn er Anfang Juli die ersten Murmeltierkätzchen entdeckt und beobachten kann. Einst war er Zeuge, wie die Mutter die putzigen Nager am Nacken packte und in ihrem Bau in Sicherheit brachte. «Einfach eindrücklich», hält er fest.

Winterschlaf wie die Murmeltiere

Ein weiteres Naturspektakel wartet im Oktober, wenn sich die Lärchenwälder wunderschön golden färben. Es ist das letzte Leuchten vor dem Winter. Dann begibt sich auch die Tierwelt so langsam in den Winterschlaf. Und die Parkwächter tun es ihr gleich. «Im Winter sind wir quasi wie die Murmeltiere: Wir tanken Energie für die intensiven Sommermonate und erledigen Arbeiten im Büro und in der Werkstatt. Für Zählungen, Wildbeobachtungen und für Aufsichtsarbeiten sind wir auch im Winter draussen unterwegs, manchmal bei minus 30 Grad Celsius», sagt Fadri Bott. Doch noch ist September. Ein lauer Herbsttag. Die ersten Besucher erreichen das Plateau auf Sur il Foss und beobachten die röhrenden Rothirsche. Fadri Bott stellt sein Fernrohr auf. Ganz zur Freude der Gäste, die durch die Linse einen einmaligen Blick auf die aufregende Szenerie am Fusse des Piz Mingèr erhaschen dürfen. Fadri Bott ist eben nicht nur Wächter, sondern auch Gastgeber.

Schon gewusst?

Der Schweizerische Nationalpark ist mit einer Fläche von 170 km2 das grösste Naturschutzgebiet der Schweiz. Das streng geschützte Gebiet liegt im Engadin/Münstertal und umfasst alpines Gelände in Höhenlagen von 1 400 bis 3200 m ü. M. Die Gründung des Schweizerischen Nationalparks 1914 war ein Meilenstein in der Naturschutzgeschichte. Er war der erste Nationalpark der Alpen und Mitteleuropas und ist bekannt für seinen Reichtum an Alpentieren und Alpenpflanzen in einer kaum berührten Naturlandschaft.